Gedanken zu Amoris laetitia

Papst Franziskus erweist sich mit Amoris Laetitia ein weiteres Mal als geschickter Brückenbauer (Pontifex), der sich der Mühsal eines synodalen Weges und der Differenzierung aussetzt. Er hat nach aufmerksamem Zuhören während der beiden Familiensynoden und aufgrund der Umfrageergebnisse aus deren Vorfeld die Vielschichtigkeit der Familienthemen und der unterschiedlichen Situationen weltweit im Blick. Er macht "Vorschläge" und will "ermutigen" (Nr.5).

Indem er sich vom gewohnten Dekretieren und starker Gesetzesorientiertheit abwendet, die Dinge als ein den Menschen zugewandter Seelsorger betrachtet und kulturelle Unterschiede ernst nimmt, eröffnet er neue Räume. Dass er dabei in den Themen 'Beziehungen gleichgeschlechtlich Liebender' und 'Kommunionteilnahme für wiederverheiratet Geschiedene' nicht deutlicher weiter geht, ist für die Betroffenen schmerzlich, für uns alle enttäuschend und zeigt nur allzu klar, welche Blockaden und Spannungen in der Kirche aufgrund großer Traditionsverhaftetheit und deren Widerspruch zum modernen Leben wirksam sind. Ebenso vermisst man den Respekt und die Wertschätzung der von Menschen frei gewählten Lebensformen. Das "noch nicht in der Lage" sein (Nr. 295) oder als in "Schwäche und Unvollkommenheit" lebend (Nr. 296) wird als Abwertung verstanden werden. Prüfung der Einzelsituationen und das Suchen nach jeweils angemessenem Vorgehen sind ein Türspalt, der im konkreten Handeln menschenorientiert genutzt werden will.

Positiv im Schreiben sind die Zurückweisung der Unterordnung von Frauen, die Wahrnehmung der großen Vielfalt familiärer Situationen und die Betonung der Gewissenfreiheit der Menschen, das Eingehen auf Liebesbeziehungen und Erziehung sowie die spürbare tiefe Menschenkenntnis, keine Vorlage von Patentrezepten. Franziskus will pastoralen Dialog, das ist etwas anderes als Menschen als Objekte der Seelsorge.

Im Sinne der Dezentralisierung nimmt der Papst die Bischöfe und das Kirchenvolk in die Mitverantwortung "in jedem Land oder jeder Region besser inkulturierte Lösungen" zu suchen (Nr.3). Dies unterstützt die Forderung kirchlicher Reformgruppen nach einer neuen Synode für Deutschland analog der Würzburger Synode, die mit gleichberechtigten Entscheidungsbefugnissen aller Beteiligten Lösungen für unser Land erarbeitet. Dabei wird der schwierige Dialog über in unserer Zeit noch verstehbare Glaubensinhalte nicht fehlen dürfen.

Alle kirchlichen Gruppen, mehr traditionell denkende wie reformorientierte, müssen sich auf einen neuen Weg der Toleranz vereinbaren, der unterschiedliche Lösungen und Geschwindigkeiten des Vorgehens zulässt. Franziskus ermuntert zu integrativem und nicht zu ausschließendem Denken.

Willi Genal / Paul-G. Ulbrich

Sprecher der Gemeindeinitiative.org